Im Stuttgarter Osten erinnern über 150 Stolpersteine an die vom NS-Regime ermordeten Menschen. Vier Jugendliche aus Stuttgart-Ost haben im Rahmen des druckWERKstatt-Projekts unter der Leitung von Wolfram Isele Blätter gedruckt, die das Schicksal einzelner Opfer thematisieren.
Das Projekt der druckWERKstatt Stuttgart-Ost zeigt, wie kreativ und engagiert Jugendliche sich mit der Geschichte auseinandersetzen und zur Erinnerungskultur beitragen können. Durch ihre künstlerische Arbeit haben sie nicht nur den Opfern des NS-Regimes ein würdiges Gedenken geschaffen, sondern auch ein starkes Zeichen gegen das Vergessen gesetzt. Ihre Werke sind ein bleibendes Zeugnis der Erinnerung und eine Ermutigung, sich aktiv mit der Geschichte auseinanderzusetzen.
Seit März werden die vier Drucke aus dem Druckprojekt mit Jugendlichen im Foyer des Hotel Silber ausgestellt. Bei der Vernissage am 30.3.2025 erläuterte Wolfram Isele die Hintergründe des Projekts. In kurzen Statements äußerten sich die Jugendlichen zur aktuellen Bedeutung dieser Arbeiten. Die Veranstaltung wurde musikalisch begleitet von Wilma Heuken.
Das Projekt wurde gefördert aus dem Fonds “Kulturelle Bildung” der Stadt Stuttgart
Mehr zum Druckprojekt finden Sie hier
Wir freuen uns sehr, die Drucke im Hotel Silber ausstellen zu können. Hier einige Bilder von der Vernissage am 30.3.2025



Hier die Rede von Wolfram Isele:
Guten Tag meine Damen und Herren, liebe Besucherinnen der Matinee ,
Hallo Eliana, Magdalena, Lujza und Lenke.
2022/23 habet ihr euch zu einem Projekt zusammengetan, dessen Ergebnisse heute hier im Eingangsbereich des Hotel Silber zu sehen sind:
Die Stolperkunstmappe 1.
Fast über ein ganzes Jahr kamt ihr zusammen in die druckWERKstatt S-Ost mit dem Ziel Druckgrafiken zu erstellen, zu Schicksalen, die hinter den im Stuttgarter Osten verlegten Stolpersteinen verborgen sind,.
Es gibt über 150 Stolpersteine im Stuttgarter Osten und es fiel schwer eine Auswahl zu treffen.
Eine Führung zu ausgewählten Steinen mit Harald Stingele machte die Schicksale plastisch.
Jetzt galt es eine Entscheidung zu treffen. Mit welcher Person werden sich Eliana, Magdalena, Lenke und Lujza für lange Zeit beschäftigen?
Eliana entschied sich für die Jüdin Chassia Dymschiz, insbesondere bewegt, von deren Fluchtgeschichte.
Magdalena für die vor ihrem dritten Lebensjahr ermordeten Sintezza Irene Winter und ihre Mutter Martha, die den Holocaust überlebt hatte.
Lujza für Anna Maria Rieg, die den NS-Krankenmorden zum Opfer gefallenen war.
Und Lenke für den kommunistischen Stadtrat Heinrich Baumann, einer Symbolfigur des Widerstandes.
Kataloge mit Hochdruckbeispielen wurden gewälzt, Stichworte festgehalten, schnelle Skizzen mit Strichmännchen aufs Blatt geworfen, Zeichenübungen folgten, erste Ideen mit dicken Filzstiften wurden aufgezeichnet. So entwickelte sich der Weg zu einem ersten Entwurf.
Einen Entwurf, den es nun auszuarbeiten galt. Hier gibt es ein Foto, das als Vorlage diente. Dort tauchte die Frage nach der Frisur auf, die die Frauen und diese bestimmte Frau damals wohl trug. Wie stelle ich die Erinnerung der Mutter an ihr getötetes Kind dar, die Erinnerung der Mutter, die den Holocaust überlebt hat? Und wie windet sich eine Figur, die sich gegen das Erschlagen werden wehrt?
Formale Fragen, die gleichzeitig immer auch als Aus-Druck einer inhaltlichen Verarbeitung, einer Stellungnahme, einer Haltung gestaltet wurden.
Das Motiv der Spielkarte, die Lupe im Auge, das Auseinanderbiegen des Gitters, die verlorenen Puzzleteile, die Bedeutung der Farben: für starke Bilder habt ihr euch entschieden.
Maßstab getreue Entwürfe wurden seitenverkehrt auf den Druckstock übertragen. Ab jetzt durfte sich nichts mehr ändern in der Bildidee. Der Druckstock wurde bearbeitet – bei Linoleum mit dem Schnitzmesser, bei Holz in unserem Fall mit der Dekupiersäge. Was weiß bleiben sollte, wurde weggeschnitten. Was stehen bliebt, konnte gedruckt werden.
Was weg ist, ist weg. Diese Schritte führten zu einer gewissen Abstraktion. Bei der Technik ‚verlorene Platte‘ wird von der hellsten Farbe bis zur dunkelsten alles von einem Druckstock gedruckt. Bei jedem Druck ist es spannend, was rauskommt. Erst nach dem Druck der letzten Farbe erreicht das Blatt seine Brillanz. Da kann man bei mehreren Farben zwischendurch schon mal verunsichert sein.
Ich möchte noch eine Fragestellung aufgreifen, die immer wieder problematisiert wird im Zusammenhang mit Grausamkeit und deren Darstellung.
Darf ein Bild, dem unvorstellbare Grausamkeiten zu Grunde liegen, vorgeben, das vom Gepeinigten erlebte äußere und innere Leid wiedergeben zu können?
Darf ein Bild, dem unvorstellbare Grausamkeiten zu Grunde liegen „schön“ im Sinne von interessant zum Anschauen sein?
Darf man sich damit überhaupt gestalterisch auseinandersetzen? Wird dadurch das erlittene Leid womöglich verharmlost?
2014 hat sich Gerhard Richter – der wohl bekannteste zeitgenössische deutsche Maler dem Thema gestelltl.
Im sogenannten Birkenau-Komplex hat er zunächst vier Fotos des KZ-Häftlings Alberto Errrera , die 1944 unter schwierigsten Bedingungen gemacht und aus dem KZ herausgeschmuggelt worden waren, in seiner eher fotorealistischen Art gemalt. Da diese Bilder aber weder das Leid transportieren konnten, noch an die Intensität der Fotografien heranreichten, hat Richter sie übermalt bzw. mit Farben überrakelt. Jetzt hängen die Fotos neben den Rakelbildern. Die Betrachterinnen sehen ein Foto und ein übermaltes Bild. Die Vorstellung und Auseinandersetzung mit dem Thema findet im Denken, in der Vorstellungskraft der Betrachterinnen statt.
Der Weg der Auseinandersetzung mit den Schicksalen der von den Jugendlichen gewählten Personen wurde anders beschritten. Hier geht es nicht um die Darstellung einer realen Situation, sondern darum, wie die Jugendlichen sich diesen Personen annähern, wie sie konfrontiert mit deren Schicksalen aus ihrer eigenen Lebenserfahrung heraus Kontakt aufnehmen und Bilder des Ausdrucks finden.
Für heute haben sich Eliana, Magdalena, Lujza und Lenke vorgenommen, ausgehend von den Auseinandersetzungen, mit denen sie in ihren Arbeiten konfrontiert waren, kurze Statements zu formulieren, die Stellung beziehen nicht zur Vergangenheit, sondern zur Gegenwart.
Und hier die Statements der Jugendlichen:
Statement 1: Aufklärung über den Holocaust
Nie wieder ist jetzt, das liest man in Geschichtsbüchern, Gedenktafeln,
Reden von Politikern und Demonstrationsschildern. Doch was ist, wenn man
gar nicht weiß, auf was sich das Nie wieder bezieht. Wenn man noch nie von
dem Wort Holocaust gehört hat. Uns kommt es seltsam vor, wenn wir hören,
dass viele Deutsche die Geschichte ihres Landes gar nicht richtig kennen.
Was vor gar nicht so langer Zeit die Deutschen den Minderheiten angetan
haben und wie es zur dunkelsten Stunde der Menschheit kam.
Ich habe mich ein ganzes Jahr im Geschichtsunterricht mit dem
Nationalsozialismus befasst, wir haben das KZ-Arbeitslager in Dachau
besichtigt und ein Zeitzeuge hat unsere Schule besucht. Trotzdem sind viele
Jugendliche und Junge Menschen schlecht über das Thema informiert und
ein bedeutender Teil von ihnen hat sogar noch nie von dem Wort Holocaust
gehört, laut einer Forschung der Tagesschau zum Ausschwitz
Befreiungsgedenktag.
Gerade jetzt in angespannten und hasserfüllten Zeiten, ist es wichtig, sich an
das Vergangene zu erinnern. Wir alle sollten auf den Holocaust und das 3.
Reich aufmerksam machen, sei es durch Kunst, Disskusssionen und
Interviews, Besuche, Bücher, Filme und moderne Medien, um ein möglichst
großes Publikum zu erreichen. Aufklärung und Informieren ist überall der
erste Schritt zur Besserung und wir können nur für das Nie wieder
gemeinsam kämpfen, wenn wir wissen was Menschen Menschen damals
antaten
Statement 2: Widerstand
Heinrich Baumann war ein Mitglied des Widerstands gegen das Nazi-Regime in Deutschland. Er gehörte zu einer Gruppe von mutigen Menschen, die gegen die menschenverachtende Politik des Dritten Reiches kämpften und versuchten, das Unrecht zu stoppen. Baumann war vor allem durch seine Unterstützung für die Verfolgten und seine Beteiligung an geheimen Aktivitäten bekannt. Er setzte sich aktiv für eine bessere Zukunft ein, auch wenn er dafür sein Leben riskierte.
Im Vergleich zu heute stellt sich die Frage, wie sich Widerstand in einer demokratischen Gesellschaft äußern kann. In Zeiten politischer Unsicherheit, sozialer Ungerechtigkeit oder autoritärer Tendenzen bleibt der Widerstand gegen Unrecht eine notwendige Aufgabe. Wie damals erfordert auch der heutige Widerstand Mut und Engagement, sei es in Form von Protesten, politischem Engagement oder zivilem Ungehorsam. Der Widerstand von Heinrich Baumann erinnert uns daran, dass es immer wichtig ist, sich für die Rechte und die Würde von Menschen einzusetzen, auch wenn es mit persönlichen Opfern verbunden ist.
Statement 3: Minderheiten als Sündenböcke
