Stolpersteine sind das größte dezentrale Mahnmal der Welt. Sie mahnen nicht nur „Vergesst nicht!“ sondern vor allem „Vergesst uns nicht!“ Sie verbinden durch die räumliche Zuordnung Vergangenheit und Gegenwart. Denn die Menschen, an die die Stolpersteine erinnern, lebten in den Häusern, die auch heute noch das Stadtbild prägen und das Zuhause von Menschen sind.
Wir leben in einer Zeit, in der es bald keine Zeitzeugen mehr gibt, die Täterrolle der Deutschen in den persönlichen Erinnerungen meist keine Rolle mehr spielt und wir uns in der Schimäre eingerichtet haben, Weltmeister der Aufarbeitung zu sein. In dieser Zeit, in der die Vergangenheit zur Retrotopie wird, die Zukunft Angst macht und ernsthafte Diskussionen darüber stattfinden, ob Mahnmale überhaupt noch notwendig sind, brauchen wir einen neuen Erinnerungsraum für die Gestaltung unserer Zukunft.
Erinnerungen, Auseinandersetzungen und Emotionen formen das Band einer Familie und bilden als Erfahrungsgemeinschaft die Grundlage für die Zukunft. Auch unsere Gesellschaft ist durch das Band der Geschichte miteinander verbunden. Wie eine Familie sind wir an diesem Abend zu Gast bei den Menschen, die heute in den Wohnungen leben, vor deren Haustür ein Stolperstein verlegt wurde. Wir teilen am Abend die Erinnerungen an die von dort deportierten ehemaligen Bewohner. In familiärer Runde werden durch Geschichten, Dokumente und Andenken die Deportierten für einen Moment wieder lebendig, um sie im Gedächtnis unserer Gesellschaft zu verankern und vor dem Vergessen zu bewahren. Durch den Eintritt in die Wohnung vollzieht sich ein Perspektivwechsel, der eine persönliche und aktive Auseinandersetzung herausfordert und so an unserem Familienabend eine neue Erfahrungsgemeinschaft formt.
Lebendige Erinnerung kann nur im fortgesetzten, gemeinsamen Gespräch entstehen. Durch den Familienabend mahnen uns die Stolpersteine nicht nur „Vergesst uns nicht!“, sondern erinnern uns an unsere kollektive Verantwortung für die Zukunft.